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Demokratie muss gelernt werden

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"A political consensus founded on economic success, with a complacent citizenry, a compliant press, and a vastly popular leader. ... But what Americans today might envy, with our intimations of national decline, makes thoughtful Germans uneasy. Their democracy is not old enough to be given a rest."

Diesen Absatz schrieb George Packer in seinem Artikel The Quiet German in dem er ein Bild von Deutschland zu Zeiten Merkels zeichnet: einem Deutschland in dem der politische Konsens so stabil ist, dass es laufend neue Gesetze aber keine Debatten gibt. Einem Deutschland, dessen erneute wirtschaftliche und politische Stärke der Journalist Georg Dietz mit Sorge betrachtet. Deutschland würde dadurch deutscher werden, weniger westlich. Denn diese Zeit befriedigt die deutschen Bedürfnisse nach Stabilität, Sicherheit und wirtschaftlichem Wachstum. Politisch ist daran nur in Ruhe gelassen zu werden. Dirk Kurbjuweit, Korrespondent des Spiegels, meint denn auch zu Packer: "[...] I’m not sure if these democratic attitudes are very well established in my country. We Germans always have to practice democracy—we’re still on the training program.” In der alternativlosen Politik Merkels und der apolitischen Grundhaltung der letzten Jahre sieht er eine große Gefahr.

Nun kann man darüber streiten, ob man einem Volk bestimmte Charakteristika zuschreiben kann; wenngleich dies auch Tradition hat. Schon Thomas Mann beschrieb die Deutschen als apolitisch. Doch kann man nicht bestreiten, dass es in bestimmten Gesellschaften vorherrschende Grundstimmungen gibt. Nach Fabian Leber und seinem Artikel Angelas Geisterhaus seien dies bei den Deutschen das Apolitische und die Sehnsucht nach Konsens; z.B. bemerkbar in der Geringschätzung der polarisierten amerikanischen Gesellschaft. Zudem kann man nicht bestreiten, dass sich die politischen und gesellschaftlichen Debatten der letzten Jahre meist um einzelne Projekte nicht aber um das Gesamtbild oder um eine Zukunftsvision gedreht haben.

In dieses Vakuum stößt Pegida. Vom heutigen Deutschland wird ein diffuses Bild gezeichnet und fremdenfeinliche und rassistische Forderungen an die Politik gerichtet. Aufgeschreckt versuchen es manche Politiker mit Appellen nach einem Dialog. Dieser kann allerdings nichts bringen; selbst wenn viele 'einfache' Bürger dabei sind, die zuvor nichts mit Rechtsradikalismus zu tun hatten. Denn es kann an Gesine Schwans Mahnung bei Günther Jauch erinnert werden: "Aus der Mitte der Gesellschaft heißt ja nicht automatisch, dass die alle Demokraten sind.” Leider hat sie recht. In der Mitte-Studie der Universität Leipzig wird bei knapp 30% der Befragten eine chauvinistische Einstellung, also ein Überlegenheitsgefühl, ermittelt. So sei auch die Islamfeindschaft mit der Darstellung des Islams als rückständig das neue Gewand des Rassismus. Solche Einstellungen mit einem Dialog verstehen zu wollen kann nicht sein.

Und dennoch liegt es an der Politik zu antworten. Denn genau jenes Vakuum was sie durch fehlende Debatten und eine Visionslosigkeit erzeugt hat, macht die Pegida so erfolgreich. So verweist auch Jakob Augstein in Null Toleranz für Pegida auf das dahinter liegende Bild. Problem sei das zunehmend ungerechte Wirtschaftssystem und dass viele in Politik und auch Medien den Kampf zwischen Finanzkapitalismus und parlamentarischer Demokratie aufgegeben hätten. Dieser Aufgabe steht die Lebensrealität vieler gegenüber; oft unmittelbar vom Finanzkapitalismus beeinflusst. Laut Statistischem Bundesamt waren im vergangenen Jahr z.B. rund 16,2 Millionen Menschen von Armut betroffen. So warnt auch Philosoph Oskar Negt vor einer brodelnden Gesellschaft und deren Abwendung vom System. Er sieht die subjektive Orientierung der Menschen und das staatliche System auseinander driften; mit dem Resultat, dass das offizielle Institutionengefüge intakt und funktionsfähig erscheinen, aber im Inneren der Gesellschaft 'politische Scharzmarktphantasien' durch die Abwendung von diesem System entstünden. In der Kritik der Pegida-Demonstranten gegen die sogenannten Systemmedien kann man erste Anzeichen erkennen.

Dem muss die Politik in zweierlei Dingen entgegentreten. Erstens braucht es wieder einen umfassende Diskussion über politische und gesellschaftliche Visionen. Natürlich gehören Nebenschauplätze und Stimmenfang zum politischen Alltag. Doch darf nicht das große Ganze vergessen werden. Zudem muss der Kampf zwischen Demokratie und Finanzkapitalismus wieder gefochten werden. Zweitens darf die Politik sich selbst nicht mehr in ausländerfeindlichen Parolen vergehen. Joerg Wellbrock schreibt in Spiegelfechter nicht zu unrecht, dass ab jetzt zurückgerufen werde. Er meint damit die fremdenfeindlichen Töne bei Pegida, welche eine Antwort auf die politischen Parolen gegen vermeintliche Sozialflüchtlinge, Sozialschmarotzer oder kriminellen Ausländer seien.

Aktuell könnte man also meinen, dass deutsche Volk hätte tatsächlich noch nicht die Grundprinzipien der Demokratie und einer liberalen Gesellschaftsordnung verstanden. Politisch gibt es quasi einen Stillstand und manche Gesellschaftsschichten verwandeln ihre Zukunftsängste und ihren latenten Fremdenhass in Parolen gegen die noch Schwächeren, die noch Schutzloseren. Doch gibt es auch hier Hoffnung. So meint Oskar Negt, dass jene 'politischen Schwarzmarktphantasien' und antidemokratischen Einstellungen nur mit einem bekämpft werden könnten: politischer Bildung. Demokratie müsse alltäglich gelernt werden und würde nicht angeboren. So kann wiederum auf George Packers Artikel vom Anfang verwiesen werden, wonach Deutschlands prosperierende letzten Jahre politische Diskussionen verstummen ließen. Insofern: lasst uns das apolitische aus der deutschen Gesellschaft beseitigen und wieder richtige Debatten führen.

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