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Migration und Bevölkerungsentwicklung: Solidarität und Selbsthilfe

Aus: Neue Potenziale - zur Lage der Nation in Deutschland,
Juni 2014,  Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung
Vor ein paar Wochen war ich auf einem sehr spannenden Vortrag am ifo-Institut in München von Herrn Dr. Klingholz, Direktor des Berlin Instituts für Bevölkerung und Entwicklung. Der Vortrag widmete sich einerseits der Zusammensetzung und dem Bildungs- wie Integrationsgrad deutscher Migranten und andererseits der zukünftigen Bevölkerungsentwicklung in Teilen der Welt und deren Auswirkungen auf die Migration in Europa, bzw. Deutschland.

Polarisierend
Unterteilt man die Migranten(1) nach Gruppen hinsichtlich ihrer Herkunftsländer, so zeigt sich oft eine starke Polarisierung des Bildungsgrades. Beispiel Rumänien und Polen. Zwar ist der Anteil der Migranten aus Rumänien und Polen ohne Bildungsabschluss wesentlich höher als der Anteil der Einheimischen. Umgekehrt ist der Anteil an Akademikern bei Migranten aus Rumänien und Polen höher als bei Einheimischen. Auch wenn Misstrauen gegenüber der Vergleichbarkeit der Abschlüsse herrscht, so besitzt dieser Teil der Migranten doch den höchsten Bildungsabschluss, den sie in ihrem Herkunftsland erlangen konnten.
Ähnlich polarisiert ist der Grad der Bildung bei Flüchtlingen aus den aktuellen Krisenländern in Afrika und dem Nahen Osten. Nicht jeder verfügt über die Mittel die Schlepper für die Überfahrt nach Europa zu bezahlen. Viele der Flüchtlinge kommen aus der Mittel- und Oberschicht, denen politische Verfolgung droht, oder die in Anbetracht der herrschenden Konflikte keine Perspektive mehr in ihrem Ursprungsland sehen. Es handelt sich also keineswegs nur um Armutsflüchtlinge.


Adios!
Angesichts des demografischen Wandels und dem Ruf der deutschen Wirtschaft nach mehr Fachkräften, ist Deutschland auf mehr Zuwanderung angewiesen. Dabei ist der Zustrom an Fachkräften aus den südeuropäischen Ländern ein willkommener Effekt der Rezession in den Krisenländern. Gerade innerhalb Europas sind die Migranten allerdings sehr mobil, was zur Folge hat, dass viele gut ausgebildete südeuropäische Zuwanderer sehr wahrscheinlich wieder die Heimreise antreten, sobald sich die wirtschaftliche Lage in ihren Herkunftsländern gebessert hat. Deutschland ist damit umso mehr auch auf Zuwanderung aus ferneren Ländern angewiesen.


Aus: Neue Potenziale - Zur Lage der Integration in Deutschland,
Juni 2014, Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung
Schulterschluss
Vergleicht man die Bevölkerungspyramide der Migranten mit denen der Einheimischen, zeigt sich zudem, dass der größte Anteil der Migranten im jungen arbeitsfähigen Alter von 25 bis 40 Jahren und darunter liegt. Der demografische Wandel sorgt in Deutschland dafür, dass der Altenquotient(2) in den kommenden beiden Jahrzehnten auf über 50 Prozent ansteigen wird. Migranten könnten einen Teil der Lasten für die kommende Generation Erwerbstätiger schultern und damit den demographischen Wandel abfedern.
Zwar rechnete Ifo-Chef Hans-Werner Sinn jüngst in einem Beitrag in der FAZ vor, dass Flüchtlinge fiskalisch gesehen Nettoleistungsempfänger sind, jedoch machte er auch darauf aufmerksam, dass die Effekte auf dem Arbeitsmarkt positiv sind, das heißt volkswirtschaftlich gesehen ein positiver Saldo entsteht. Meiner Meinung nach könnte man diesen Saldo durch eine bessere Integrationspolitik noch weiter steigern. Flüchtlinge sollten gezielt unterstützt werden, insbesondere durch kostenlose Sprachkurse. Ein Abbau der sprachlichen Barriere würde den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt erheblich erleichtern. Es ist wie mit Investitionen in Bildung. Zunächst überwiegen die Kosten der Investitionen. Die bessere Ausbildung und die daraus resultierenden besser bezahlten Jobs erhöhen schließlich die Steuereinnahmen und führen dazu, dass sich die Investitionen langfristig auszahlen.
Zu einer besseren Integrationspolitik gehört auch eine durchdachtere Unterbringung. Flüchtlinge massenhaft in Heimen unterzubringen und sie dann sich selbst zu überlassen ist wenig integrationsfördernd. Beim Sommerurlaub an der italienischen Adria hat schließlich auch noch niemand Italienisch gelernt.


Blutrot
Löst der aktuell starke Zustrom an Flüchtlingen schon jetzt eine heftige Debatte über die gegenwärtige Asylpolitik Europas aus, könnte die Zukunft die Europäer noch vor viel größere Herausforderungen stellen. Aktuell beträgt die Bevölkerungswachstumsrate in Afrika bis zu 3% jährlich. Kumuliert über die Jahre hinweg würde das bedeuten, dass sich die Bevölkerung in Afrika innerhalb von etwa 25 Jahren verdoppelt und in 50 Jahren gar mehr als vervierfacht.(3) Insbesondere für Nigeria prognostiziert Klingholz ein enormes Bevölkerungswachstum. In Anbetracht der Infrastruktur, der wirtschaftlichen und politischen Stabilität und Stärke Nigerias, verglichen mit europäischen Standards, stellt sich die Frage, wie dieses Land diese Entwicklung auch nur ansatzweise bewältigen könnte.
Untersuchungen des Berlin Instituts für Bevölkerung und Entwicklung legen außerdem einen deutlichen Zusammenhang zwischen einem hohen Bevölkerungswachstum und daraus resultierenden (Verteilungs-)Konflikten nahe. Auf Basis von Daten zur Bevölkerungsentwicklung, der aktuellen Menschenrechtslage, der wirtschaftlichen und ökologischen Situation sowie zu Flüchtlingsproblemen stellt die untenstehende Weltkarte den Fragilen Staaten Index graphisch dar. Das frühlings- bis herbstfarbene Europa steht dabei in starkem Kontrast zum blutroten Afrika. Folgt man der Argumentation von Klingholz, dann werden die zukünftigen Konflikte in Afrika zunächst dazu führen, dass sich die Betroffenen in kontinentale Nachbarstaaten flüchten. Es besteht jedoch nur wenig Hoffnung, dass die Nachbarstaaten den Flüchtlingen eine wesentlich bessere Perspektive ermöglichen werden können, sodass mit ein paar Jahren Verzögerung Europa das nächste Ziel wäre.
Aus: Krisen an Europas Südgrenze, Oktober 2014, Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung


WahnSinn
Auf Nachfrage, wie Herr Klingholz die beschriebenen Probleme der ansteigenden Zuwanderung den anzugehen gedenke, appellierte dieser unter anderem an die Solidarität in der Bevölkerung. „Solidarität auf Kosten anderer“, warf Herr Sinn ein und erntete dafür zustimmendes Gemurmel im Publikum vorangeschrittenen Alters.
Solidarität, wer sie sich leisten kann. Für viele Deutsche scheint es nach wie vor nur schwer vorstellbar, einen Teil des Wohlstands vorübergehend abzugeben. Schließlich hat man ja viel dafür getan im privilegierten Deutschland aufgewachsen zu sein. Andere opfern für dieses Privileg ihr Leben, aber was ist uns das schon wert.


Zum Weiterlesen/-schauen:

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(1) Migranten = "Zu den Menschen mit Migrationshintergrund (im weiteren Sinn) zählen nach der Definition im Mikrozensus 'alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten, sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil'." - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
(2) Altenquotient = "Im Altenquotienten wird die ältere (nicht mehr erwerbsfähige) Bevölkerung auf die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter bezogen. Es gibt dazu keine vorgeschriebenen Altersgrenzen, am gebräuchlichsten sind Abgrenzungen bei 15 bzw. 20 Jahren nach unten und 60 bzw. 65 Jahren nach oben, also: Die Bevölkerungszahl im Alter ab 60 bzw. 65 Jahre wird dividiert durch die Bevölkerungszahl zwischen 15 bzw. 20 und 60 bzw. 65 Jahren." - Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung.
(3) Der Fehler bei der Schätzung der Bevölkerungsentwicklung steigt in der Regel mit der Dauer des Schätzzeitraums. Zudem ist der Fehler bei sich entwickelnden höher als bei entwickelten Ländern. Die Prognoseunsicherheit könnte also dazu führen, dass die Entwicklung nicht ganz so dramatisch ausfallen wird, wie Herr Klingholz sie in seinem Vortrag darstellt.

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