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Mutbürger


Rettungsroutine - Wort des Jahres 2012. Es reiht sich ein nach Wörtern wie Stresstest (2011), Wutbürger (2010), oder der Abwrackprämie (2009). Nun also Rettungsroutine; man assoziiert sofort den Finanzsektor, einzelne Banken oder auch den Euro damit. Nicht aber Stuttgart 21, wie bei den beiden Begriffen zuvor.

Stresstest in 2011. Der Stresstest für Stuttgart 21 war damals Teil des Schlichtungsversuchs unter Heiner Geißler. Im Nachhinein gab es bereits eine Kritik und der Vorwurf der Manipulation. Jetzt im Juli 2012 - also nach der Schlichtung und nach der Volksabstimmung - kam zudem eine neue Studien an die Öffentlichkeit. Das Ergebnis einer "Personenstromanalyse" von bereits 1998 (zuletzt 2008 aktualisiert) hat das Ergebnis, dass der neue Tiefbahnhof nicht 50 Prozent mehr als der neue Bahnhof leisten kann, sondern 30 Prozent weniger leistungsfähig sein wird. Egal wie viele Züge der neue Bahnhof wird leisten können, mehr Personen als für 29 Personen wird der Bahnhof nicht halten. Der Stresstest behandelte aber nur die Zug-Kapazität.

Wutbürger in 2010. Der Spiegel-Journalist Kurpjuweit benutzte im Oktober 2010 den Begriff angesichts der Sarrazin-Debatte und der Proteste gegen Stuttgart 21. Bei beiden Debatten sah er eine "Zukunftsvergessenheit." Jeweils wolle eine skeptische Mitte den Status quo behalten - zu Lasten einer guten Zukunft. Angela Merkel griff diesen Gedanken auf und bezichtigte die Demonstranten sogar, die Entwicklung des Technologiestandorts Deutschland zu blockieren. Von der Durchsetzung solcher Vorhaben hänge die Zukunft ganz Deutschlands ab. Die politische und wirtschaftliche Elite stellte sich gegen die Wutbürger. Unbeeindruckt dessen, wiesen diese schon früh auf Gefahren bei "Deutschlands bestgeplantem Projekt" hin. 2008 berechneten die Verkehrsberater Vieregg-Rössler Kosten in Höhe von 6,9 bis 8,7 Milliarden Euro. Seit Dezember 2012 sind sie nun auch offiziell bei 6,8 Milliarden Euro - gegenüber den 4 Milliarden D-Mark von 1995. Zu viel für einen "Provinzbahnhof". Zum Vergleich: Der siebenmal so große Bahnhof in Berlin kostete 1,2 Milliarden Euro. Mehr noch: statt mit ehemals acht Prozent rechnet die Bahn nur noch mit zwei Prozent Kapitalrendite; ein äußerst niedriger Prozentsatz. 

Stuttgart 21 ist also eindeutig ein Versagen verantwortlicher Politiker und Vorstände. Viele Versprechen erwiesen sich als falsch und die Eröffnung des neuen Bahnhofs mehrfach nach hinten verschoben. Bei anderen Großprojekten wie der Elphilharmonie oder dem Berliner Flughafen sieht es nicht anders aus. Auch die freie Wirtschaft erweist Unfähigkeit. Bei Thyssen resultiert Missmanagement kombiniert mit Korruption und Kartellverstößen in einem Milliardenverlust. Gegen die Deutsche Bank laufen Verfahren wegen Betrugs, Steuerhinterziehung und Geldwäsche. Ist das die Sicherung der Zukunftsfähigkeit Deutschlands, welche sich Angela Merkel erhofft? Nun, die politische und wirtschaftliche Elite schafft es wohl auch nicht.

Stattdessen gibt die Realität den "Zukunftsverweigerern" in zu vielen Fällen Recht. Eine Zukunftsvision kann man sich von ihnen zwar auch nicht verhindern; aber sie warnen zumindest vor falschen oder gefälschten Visionen. Angesichts dessen wäre der Begriff "Mutbürger" die bessere Variante für das Wort des Jahres 2012 gewesen. Es ist ihr Mut der Proteste gegen scheinbar alternativlose Projekte am Leben erhält. Es ist ihr Mut, der sie kritische Punkte aufdecken lässt. Es ist ihr Mut, der sie entgegen aller Kritik ernstzunehmende Alternativen (zu S21) ausarbeiten lässt. Die Wahl "Mutbürger" als Wort des Jahres hätte die Wahl zu Wutbürger wiedergutgemacht; hätte den Einsatz unzähliger Bürger gewürdigt; und wäre somit die bessere Wahl zum abstrakten Begriff "Rettungsroutine" gewesen.

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