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"In einem Land, in dem man sich gerne beklagt...

... die Fahne wird nur während der EM geweht." (Orsons: Horst und Monika)
Dario Sarmadi "Won" www.piqs.de Some rights reserved.


Seit der heimischen WM 2006 werden vermehrt internationale Wettbewerbe in Sport und Unterhaltung (z.B. Euro Vision Song Contest) mit deutscher Teilnahme in schwarz-rot-goldene Jubelfeiern verwandelt. Von Politik und Gesellschaft wird dieser Ausdruck eines harmlosen und unverkrampften Patriotismus begrüßt. Ein Nationalstolz wird zunehmend als natürlich angesehen. "Wir leben in Deutschland. Da ist man stolz auf sein Land" sind gewöhnliche Argumente in diese Richtung.

Herauskristallisiert hat sich der neue deutsche Patriotismus bei der heimischen WM 2006 und der vierwöchigen Party. Sowohl im Inland als auch im Ausland wurde der neue Patriotismus weitestgehend begrüßt. Im Abschlussbericht der Bundesregierung zur WM wurden die Fans als Vertreter eines harmlosen, gut gelaunten und weltoffenen Patriotismus und als Ausdruck eines neuen, unverkrampften Verhältnisses zum Vaterland beschrieben. Waren Dekorationen in Schaufenstern mit den nationalen Insignien und Fahnen im Vorgarten zuvor einigermaßen tabu, so sind sie seitdem auch zwischen sportlichen Großveranstaltungen alltäglich. 

Einzelne Patzer des neuen Patriotismus wie "Sieg, Sieg!"-Rufe und das Ausrollen der Reichskriegflagge während der EM 2012 ausgerechnet im Stadion von Lemberg (Ukraine) werden als Ausnahmen angesehen; sei der von der Mehrheit praktizierte Partypatriotismus doch harmlos. Auch weitere Kritiken oder Aktionen wie die "Patriotismus? Nein danke"-Aufkleber des Bundesverband der Grünen Jugend werden ignoriert, bzw. beanstandet. Als Vorsitzender der Jungen Union kritisierte Philipp Mißfelder die Aufkleber der Grünen Jugend zur WM 2010 mit den Worten: Die deutsche Flagge würde doch die Verbundenheit zu unserem Vaterland ausdrücken und es gäbe ja viele Gründe stolz auf unser Vaterland zu sein.
Genau solche undifferenzierten Kommentare sind kritisch; bei manchen gesellschaftlichen Themen sollte die Politik eine Vorbildfunktion einnehmen. Speziell bei solch einem heiklen Thema wie dem neuen Patriotismus sollte sie aufs Bremspedal drücken um eine Eigendynamik zu verhindern. Mahnungen von Sozialwissenschaftlern gibt es viele.

Als Kern des Patriotismus bezeichnet die Wissenschaft - wie beim Nationalismus - die Identifikation mit dem eigenen Land. Der Nationalist vergleicht sein Land immer mit anderen Nationen und ist stolz sowohl Deutscher zu sein als auch stolz auf die deutsche Geschichte. Die Wissenschaftler Ulrich Wagner und Julia Becker an der Universität Marburg konnten empirisch belegen, dass der Nationalismus mit Fremdenfeindlichkeit einhergeht. Der Patriot ist dagegen ohne zu Vergleichen stolz auf sein Land und betont die Demokratie und soziale Errungenschaften in Deutschland. Eine Tendenz zur pauschalen Fremdenfeindlichkeit ist den Wissenschaftlern zufolge nicht aufzeigbar. Allerdings besteht ein Zusammenhang dazu, wie wichtig dem Patrioten die demokratischen Prinzipien sind. Je stärker er sie betont, desto geringer ist seine Fremdenfeindlichkeit.

Einen Bezug auf die Demokratie und die soziale Errungenschaften konnten Wissenschaftler beim neuen deutschen Patriotismus bislang jedoch nicht nachweisen. Die meisten genießen es, gemeinsam ein Gefühl der Zugehörigkeit zu Deutschland zu erleben und zu demonstrieren. Es gibt ihnen ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und der Identifikation mit einer Gruppe, welche man an den nationalen Insignien erkennt. Motive sind oft auch ausdrücklich Vaterlandsliebe und Nationalstolz. Die Selbstidentifikation und -definition geschieht zunehmend über die Nationalität; man ist nun nicht mehr zufällig in ein Land hineingeboren.

Der Effekt der Selbstdefinition durch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe ist dabei Teil der menschlichen Sozialisation. Ein beobachtbarer Effekt ist die sogenannte positive Selbstbewertung. Um mit sich selbst zufrieden zu sein, wird oft die eigene Gruppe positiv von anderen abgesetzt. Mitein geht die Ausgrenzung jener Gruppen, die als nicht dazugehörig wahrgenommen werden. Je weniger kritische Positionen in der Gruppe existieren, desto schärfer werden meist die Grenzen der Gruppe gezogen. Bei Gruppen wie dem eigenen Freundeskreis oder dem lokale Kegelclub ist dies unkritisch. Wenn von der Gruppe "der Deutschen" geredet wird, wird es aber heikel. Denn die Grenze von der starken Identifikation mit dem eigenen Land zum Nationalismus ist fließend und schnell überschritten. Die deutsche Staatsbürgerschaft wird über die Abstammung definiert. Das alltägliche Staatsverständnis hat somit die Komponente der genetischen Abstammung. Ein Nationalismus wirkt sich hier negativ aus, da Immigranten deshalb nicht als Teil der deutschen Gruppe angesehen werden. Zwar gibt es eine Anerkennung derjenigen Fußballspieler mit Migrationshintergrund. Wissenschaftler finden aber keine Belege, dass sich diese auch auf die Migranten im Alltag auswirkt. Schon 2006 konnte eine Studie nachweisen, dass die Fremdenfeindlichkeit in Deutschland nach der WM nicht geringer war als zuvor und dass der Nationalismus sogar leicht zugenommen hatte. Verweise auf Länder wie Großbritannien oder USA wo Patriotismus alltäglich sind, lassen die Wissenschaftler nicht gelten; dort werde die Staatsbürgerschaft über den Geburtsort definiert.

Eine böse Absicht kann den meisten dennoch nicht unterstellt werden. Bei vielen wirkt wohl der Mitläufereffekt: Sie sehen die Euphorie um sich herum und wollen einen Sieg der Nationalmannschaft natürlich mitfeiern. Bis jetzt sind diese Vorkommnisse noch einzelne Ereignisse, die nacheinander einzelne "Rauschzustände" hervorrufen. Doch die Gefahr liegt in deren Wiederholung und Ritualisierung. Hierauf sollte die Politik aufmerksam machen und entgegensteuern. Stattdessen verharmlost sie die Gefahr. Dabei hängt die weitere Entwicklung des deutschen Patriotismus von der Politik und der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung ab. Bei rechtsextremen Mitläufern wurde die Einstellung beobachtet, dass sie wenigstens ein Vaterland mit sportlichen Erfolgen wollten, wenn es ihnen schon wirtschaftlich und innerlich nicht gut ginge. Die Arbeitslosigkeit oder Gefahr des Arbeitsplatzes wird dabei oft auf Immigranten zurückgeführt.

Der Grad des Patriotismus/Nationalismus ist somit auch ein guter Indikator für die Verfassung der Gesellschaft. Kollektive Identitätskampagnen - z.B. "Wir sind Deutschland" erzeugen eine Art Ersatzgefühl, das die Gesellschaft zusammenhält. Sie dienen sozusagen als Klebemittel, wenn die soziale Sicherheit bröckelt. Dass bestimmte Gruppen ausgegrenzt werden, wird in Kauf genommen. Auch angesichts der Realität einer globalisierten Wirtschaft, Politik und Gesellschaft befürchten Fachleute negative Folgen. Anstatt der Abschottung und Distanzierung durch die rückwärtsgewandte Ideen des Patriotismus und des Nationalismus würden Kooperation und Offenheit gebraucht.

Es wird also höchste Zeit dass die Politik reagiert und auf die Gefahren aufmerksam macht. Die Gefahren sind bekannt und selbst kleinste Folgen gut aufgezeigt. Wagner und sein Team konnten zeigen, dass eine kleine deutsche Flagge auf einem Fragebogen das Nationalgefühl und die Ablehnung von Fremden steigert - zumindest bei jenen mit bereits vorhandener leichter Tendenz zum Nationalismus. Man stelle sich nur den Effekt eines Fahnenmeeres vor.

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