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Meinung: eine Bahnprivatisierung im europäischen Mobilitätskonzept


Chris "Reisefieber" Some rights reserved. www.piqs.de
Europa ist der einzige Kontinent mit einem fast flächendeckenden Schienennetz. Die bestehenden 250.000 km Schienen können eine Grundlage für eine alternative Verkehrspolitik bieten. Der Deutschen Bahn kommt dabei als größter europäischen Bahn eine zentrale Bedeutung zu. Eine Privatisierung der DB hätte somit weitreichende Folgen. Einmal umgesetzt, würde die Privatisierung eine fatale Eigendynamik auslösen.

Bislang ähneln die Besitzverhältnisse der Deutschen Bahn AG jenen der anderen europäischen Bahnen. Sie ist zu 100 Prozent in Besitz des Bundes. Einzelne Stimmen zur Privatisierung gibt es immer wieder, doch zumindest die Bahnreform von 1993/94 zur Umformung der Bahn in eine AG zielte keineswegs darauf ab. Lediglich in der FDP gab es damals solche Äußerungen. 

In Europa weicht lediglich die britische Bahn mit ihrer Privatisierung in den 2000ern ab. Eben jene hatte teils desaströse Folgen. Anstatt der erhofften Preissenkungen gab es teils massive Preiserhöhungen. Die private Gesellschaft Railtrack, welche die Bahninfrastruktur besaß, vernachlässigte Instandhaltungen aus kurzfristigem Profitdenken und provozierte damit zahlreiche Pannen und mehr als 20 schwerwiegende und oft tödliche Unfällen. Der Unfall bei Hatfield 2000 mit vier Toten und über hundert Verletzen ist wohl der Bekannteste. Trotz der Einsparungen konnte Railtrack bald keine Dividende mehr auszahlen und erklärte schließlich den Bankrott. Seit 2003 wird die Bahninfrastruktur von der nicht auf Gewinn ausgerichteten Network Rail gehalten und gewartet.

Trotz dieser einschneidenden Erfahrungen schafft es in den deutschen Debatten immer wieder eine Bahnprivatisierung auf die Tagesordnung; wohl auch wegen manchem Missmanagement oder der ungeschickten Öffentlichkeitsarbeit der DB. Dies ist Grund genug, sich mit den Behauptungen der besseren Effizienz und des größeren Preis-Leistungs-Verhältnisses einer privatisierten Bahn auseinanderzusetzen.

Die Annahme, dass eine Privatisierung oder mehr Wettbewerb im Schienenverkehr zum Vorteil der Kunden ist, ist schlichtweg falsch.
      Einerseits ist eine Privatisierung finanziell gesehen ein Risiko. Es ist wissenschaftlicher Konsens, dass alle Verkehrsträger (Straße, Schifffahrt, Flugverkehr, Schiene) nicht kostendeckend sind und subventioniert werden müssen. Auch bei einer möglichen Privatisierung der Deutschen Bahn sähen Pläne eine Beibehaltung des derzeitigen Subventions-Niveaus für mindestens weitere zehn Jahre vor. In Großbritannien mussten die Steuerzahler bislang 54,3 Mrd. Euro an Finanzhilfen an die privaten Schienenbetreiber bezahlen. Eingenommen wurden 1,9 Milliarden Pfund. Hinzu kommen die Folgekosten für Natur und Umwelt welche bei der Schiene am niedrigsten und im Straßenverkehr am höchsten sind.
      Andererseits ist auch ein größerer Wettbewerb nicht die richtige Antwort. Dieser ist schon aus technischen Gründen stark begrenzt. So kann man auf der Schiene nicht überholen und einen Wettbewerb auf der Strecke anbieten. Vielmehr würde sich der Wettbewerb auf die Ausschreibungen für einzelne Strecken oder Netze konzentrieren. Da dabei die meisten technischen Vorgaben (Fahrplan, Zahl der täglichen Fahrten, Art der Züge, ...) vorgegeben sind, sind vor allem die Personal- und Materialkosten entscheidend. Ein Wettbewerb würde unweigerlich zum Einsatz von unterbezahltem Personal und schlecht gewarteten Zügen zur Folge haben. Die auf die Ausschreibungen folgenden Vertragsabschließungen legitimieren schließlich wieder ein Monopol. In der Tendenz werden aus diesen zeitlich begrenzten Monopolen schließlich dauerhafte Monopole privater Anbieter, wie das Beispiel Großbritannien zeigt. Eine Abstimmung untereinander ist dann zwar das mindeste; der Flickenteppich aus Fahrplänen, Tarifen und Standards ist dennoch nicht im Sinne der Kunden.

Die Idee der Europäischen Union ist eine andere: statt regionalem oder nationalem Kleingeist eine gemeinsame und koordinierende Zusammenarbeit. Daraus abzuleiten ist die Vision einer Kooperation aller europäischen Bahnen; in öffentlichem Eigentum und eingebettet in ein europäisches Mobilitätskonzept. Denn nur wenn der Schienenverkehr in öffentlicher Hand ist kann die Politik die Schiene effektiv stärken. Bei den starken Lobbies der Öl-, Auto- und Luftfahrt-Industrie hätte sie sonst keine Chance. Zwischen 1970 und 2005 wurde beispielsweise das europäische Autobahnnetz verdreifacht; das Schienennetz aber um ein Achtel reduziert und die Bahnhofsdichte halbiert. Die Privatisierung der Deutschen Bahn würde diese Tendenz extrem verstärken.

Dabei ist die Perspektive der Schiene äußerst positiv. Auf der Kostenseite sind die Subventionen und Folgekosten für Gesellschaft und Umwelt bei der Schiene am niedrigsten. Bei der Nachhaltigkeit hat sie zudem großes Potenzial. Bereits heute ist ein mit Solarstrom betriebener Schienenverkehr möglich. Solche zukunftsfähigen und nachhaltigen Perspektiven haben alle anderen Transportarten nicht zu bieten. Europa kann dagegen auf das bestehende Schienennetz zugreifen und relativ kurzfristig zu einer ernst zu nehmenden Alternative ausbauen. Erforderlich ist ein weiterer Ausbau der Schiene mit umfassender Elektrifizierung und Modernisierung des Netzes und der Züge, die erneute Inbetriebnahme von stillgelegten Bahnhöfen und die Umsetzung eines flächendeckenden Angebots welches sich am integralen Taktfahrplan orientiert. Investitionen müssen sich dabei nach diesen Perspektiven richten und nicht in Prestigeprojekte wie Stuttgart 21 oder die Hochgeschwindigkeitsstrecke im Valle de Susa fließen.

Ausgerechnet die Schweizerische Bundesbahn (SBB) kann Vorbild für Europa sein: ein integrierter Taktfahrplan mit Halbstundentakt in alle wichtigen Städte, doppelt so viele gefahrene Bahnkilometer je Bürger als in Deutschland, ein hohes Ansehen des Unternehmens in der Gesellschaft und niedrigere umgerechnete staatliche Unterstützung als in Deutschland.

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